Darum wird emotionale Kundenbindung immer wichtiger!

„Servitization“ ist der große Trend im Investitionsgütergeschäft. Anstatt den Fokus auf den klassischen Warenvertrieb zu legen, vertreiben immer mehr Anbieter Ihre Güter als Dienstleistungen. Der Trend verändert die Industrie vielfältig. Ein wichtiger Aspekt sind Kundenbeziehungen, denn bei Dienstleistungen gelten andere Regeln! Dr. Martin Habert, Leiter Investitionsgüterindustrie 2HMforum. erklärt im Artikel, woher der Trend kommt, wieso Servitization emotionale Kundenbindung noch wichtiger macht und wie FANOMICS dabei hilft.

Dr. Martin Habert, Leiter Investitionsgüterindustrie

Investitionsgüter haben ein langes Leben. Damit bei Ihrer Nutzung stets optimale Ergebnisse erzielt werden, bedürfen sie verschiedenster technischer Leistungen im Rahmen von Wartung, Reparatur und Modernisierungen. Hersteller von Investitionsgütern haben sich mit diesen „After Sales“ Aktivitäten ein zusätzliches Geschäftspotenzial erschlossen, das über die gesamte Nutzungszeit der Maschinen und Anlagen oft ein mehrfaches der ursprünglichen Investitionssumme umfasst. So erwirtschaften die VDMA Mitgliedsunternehmen aktuell im Durchschnitt ca. 20% ihres Umsatzes mit produktbegleitenden Serviceleistungen; in der Spitze sogar deutlich mehr und überdies mit überdurchschnittlicher Profitabilität.

Zukünftig werden auch mit den Mitteln der Digitalisierung erstellte „smarte“ Serviceleistungen und neue Geschäftsmodelle möglich sein, bei denen nicht mehr reine Sachgüter, sondern eine Kombination aus Sachgütern und Dienstleistungen im Mittelpunkt stehen. Möglich ist sogar, nur die Nutzung von Sachgütern als reine Dienstleistung anzubieten. In diesem Fall erwirbt der Kunde das Sachgut nicht direkt, sondern nutzt es gegen Entrichtung einer entsprechenden Gebühr. Beispiele für dieses Geschäftsmodell finden sich bereits heute sowohl in industriellen Anwendungen (Flugzeugtriebwerke: „Power by the hour“) wie auch bei Konsumgütern (Carsharing).

Dieser allgemeine Trend zu stärker Dienstleistungs-orientierten Geschäftsmodellen wird in der Fachwelt als „Servitization“ bezeichnet; die rein nutzungs- oder Nutzen-orientierte Abrechnung macht das Produkt zum Service (Equipment as a service“).[1] Für den Kunden werden auf diese Weise Investitionskosten zu operativen Kosten, betriebliche Risiken können teilweise ausgelagert werden und die Flexibilität bei Produktionsschwankungen wird verbessert. Aber auch der Anbieter profitiert von höheren Kunden-Marktanteilen, denn er erhöht dank verbindlicher Wartungs- und Unterstützungsleistungen seinen Lieferumfang erheblich und schützt diesen Markt gegen externen Wettbewerb.

 

Konsequenzen für den Anbieter

 

Bei der Herstellung von Sachgütern stehen funktionales technisches Know-how und interne Herstellprozesse im Vordergrund. Demgegenüber erfordern Dienstleistungen viel weitergehende Kenntnisse der kundenseitigen Anforderungen, Abläufe und Fähigkeiten. Sie unterliegen dabei grundsätzlich anderen Bedingungen als Sachgüter:

 

Mitwirkung des Kunden

Dienstleistungen werden „on stage“ erbracht – unter den Augen, oft auch mit aktiver Mitwirkung des Kunden. Angesichts der Individualität der jeweiligen Situation und des Einflusses seitens des mitwirkenden Kunden sind sie hinsichtlich Umfang und Qualität schwer zu kontrollieren. Der Produktionsprozess findet nicht in einer abgeschlossenen, eng geführten Produktionshalle statt, sondern vor Ort des Kunden, ohne Anwesenheit von Vorgesetzten mit weitreichendem Handlungsspielraum für die Mitarbeiter. Abweichungen vom geplanten Umfang und Ablauf sind jederzeit möglich. Auch wenn dies zunächst „kundenorientiert“ scheint, birgt es doch das Risiko ungeplanter Störungen mit daraus resultierenden Qualitäts- und Kostenabweichungen. Kundenzufriedenheit leitet sich somit nicht nur aus den funktionalen Ergebnissen und Leistungen des Sachgutes ab, sondern auch aus dem Kundenerlebnis – der Art und Weise, wie die Leistungserbringung und Zusammenarbeit empfunden wurde.

 

Dienstleistungen kann man nicht anfassen

Sachgüter lassen sich in Quantität und Qualität umfassend beschreiben und vor dem Kauf verlässlich verifizieren. Dies erleichtert Kaufentscheidungen, denn Risiken können weitgehend vorab geklärt und vermieden werden. Beim Kauf von Dienstleistungen geht es dagegen um Erwartungen an die zu erbringende Leistung, deren Ergebnis vorab nicht sicher bestimmt werden kann. Dies gilt besonders, wenn die erwarteten Ergebnisse immaterieller Natur sind, wie zum Beispiel bei einer Schulung. Vertrauen in die Fähigkeiten des Anbieters wird deshalb zu einem entscheidenden Kaufkriterium. Wer eine Dienstleistung erwirbt, gibt einen Vertrauensvorschuss an den Dienstleister. Auch wenn Leistungsmerkmale spezifiziert oder beschrieben sind, sind sie vor dem Kauf nicht sicher überprüfbar.

So begründen sich die zahlreichen Bewertungsportale gerade im Dienstleistungsbereich – sie helfen Interessenten, Vertrauen in ein Angebot aufzubauen. Dieselbe Funktion erfüllen auch Vertriebsmitarbeiter, wenn sie persönlich mit Kunden sprechen und mit Argumenten und persönlichen Beziehungen für ihr Angebot werben. „Gute Beziehungen“ bedeuten Vertrauen und ersetzen technische Spezifikationen und harte Fakten.

 

Was muss ein Dienstleistungsprodukt leisten?

 

Ein Kunde berichtete von seiner Methode, einen Anbieter für Serviceleistungen an seinen Maschinen zu finden: Er lud die in Frage kommenden Servicetechniker verschiedener Unternehmen ein und entschied sich für diejenige Person, von der er persönlich die besten Ergebnisse und optimale Zusammenarbeit erwartete. Das dahinterstehende Unternehmen war ihm weniger wichtig.

Dieses Beispiel zeigt, dass die traditionellen 4 P’s des Marketings (Product, Place, Price, Promotion) für Unternehmen im Dienstleistungsgeschäft nicht ausreichen, denn sie nehmen keinen Bezug auf die handelnden Personen, den Prozess der Leistungserbringung und das Sichtbarmachen immaterieller Aspekte. Daher spricht man im Dienstleistungsgeschäft von den 7 P’s [2]und ergänzt: People, Processes und Physical Evidence.

People“ fokussiert auf die handelnden Personen. Hier geht es einerseits um die genaue Kenntnis des Kunden, dessen Erwartungen und Bedürfnisse. Diese sind nicht rein funktional, sondern ganz wesentlich auch durch persönliche Aspekte definiert. Erfolg oder Misserfolg der angebotenen Dienstleistung steht und fällt mit der Fähigkeit, zentrale Kundenbedürfnisse erfolgreich zu adressieren. Damit dies in der Praxis wirklich geschieht, müssen diese einerseits möglichst sichtbar gemacht werden (Physical Evidence) und andererseits bei der Leistungserbringung verlässlich geliefert werden (Processes). „People“ meint aber auch die eigenen Mitarbeiter, die als kritische Ressource des Dienstleistungsanbieters nicht nur in ausreichender Zahl, sondern auch mit dem richtigen Außenwirkung dem Kunden gegenüber treten sollen.

Vergleichbar der Produktentwicklung eines Sachgutes helfen Methoden des Service Engineering, alle Leistungsinhalte und Ziele in klar definierte Methoden und Werkzeuge, Abläufe und Dokumente zu überführen. Insbesondere Schnittstellen und Zusammenarbeit der interagierenden Personen werden nicht dem Zufall überlassen, sondern als „Touchpoints“ mit besonderer Sorgfalt gestaltet und reproduzierbar gemacht. Auch wenn dies zu einer gewissen Standardisierung führt – einem Aspekt, der Dienstleistungen eher abträglich scheint – gibt diese den handelnden Personen Sicherheit und fördert die Dienstleistungsqualität.

 

Vertrauen und emotionale Bindung wird noch wichtiger

 

Ein Kunde, der sich seinen Anbieter nach der Person des handelnden Personals aussucht, handelt aus seiner Sicht sinnvoll – aus Sicht anbietender Unternehmen ist es allerdings nicht wünschenswert, den Erfolg allein hierauf abzustellen. Der beim Erwerb von Dienstleistungen so wichtige Vertrauensvorschuss sollte sich auf langfristig aufgebaute „gute Beziehungen“ auf Basis immer wieder erlebter guter Erfahrungen mit dem gesamten Unternehmen aufbauen. So entstehen nicht nur zufriedene, sondern emotional gebundene Kunden. In der Welt des Sports spricht man vom „Fan“, der seinem Idol emotional verbunden ist, ihn unterstützt und zu ihm hält. Es kommt daher auch für Dienstleistungsanbieter darauf an, „Kunden zu Fans“[3] zu machen und ihren Produkten damit verlässliche Abnehmer zu schaffen: Untersuchungen zeigen, dass Fans häufiger und mehr kaufen, höhere Preise akzeptieren, dem Unternehmen langfristig treu sind, es aktiv weiterempfehlen und auch bereit sind, Fehler zu verzeihen oder aktiv Verbesserungen zu initiieren[4].

Solche emotionale Bindung entsteht, wenn Unternehmen – durch fokussierte und orchestrierte Leistungserbringung und Kommunikation – zentrale Kundenbedürfnisse an allen Kontaktpunkten besser bedienen als jeder Wettbewerber. Die stetige Wiederholung identitätsstiftender Erlebnisse, also durch häufige und exzellente Kontakte an allen relevanten Touchpoints entlang der Kundenreise ist dabei ein zentrales Element.

 

Emotionale Kundenbindung entscheiden

 

Dienstleistungen sind auch im Investitionsgütergeschäft zunehmend wichtiger geworden. Sie eröffnen zusätzliche Geschäftspotenziale, schaffen Differenzierung im Wettbewerb und bringen das Unternehmen näher an seine Kunden. Dabei müssen grundlegende Unterschiede zum Geschäft mit reinen Sachgütern beachtet werden – wichtig für den Erfolg ist insbesondere die genaue Kenntnis der zentralen Kundenbedürfnisse und ihre Übersetzung in sichtbare, verlässlich reproduzierbare Leistungsbestandteile. Neben nachprüfbaren funktionalen Ergebnissen bestimmt die Qualität des Kundenerlebnisses Kundenzufriedenheit und erzeugt emotionale Bindung zum Unternehmen. So werden Kunden zu Fans, die ihrem Unternehmen vertrauen und es erfolgreich machen.

 

Quellen:

[1] Mit Equipment-as-a-Service oder Product-as-a-Service werden Maschinen, Anlagen und Produkte jeder Art als Dienstleistung angeboten, die für einen bestimmten Zeitraum inklusive Wartung, Reparatur etc. angeboten wird und so den Unternehmen die Möglichkeit bietet Maschinen nicht mehr zu kaufen, sondern ihre Nutzung zu mieten bzw. zu abonnieren (Capex-to-Opex Modell). (https://billwerk.com/wiki/article/everything-as-a-service-xaas)

[2] https://blog.oxfordcollegeofmarketing.com/2020/10/08/understanding-the-7ps-of-the-marketing-mix

[3] Das vom Mainzer Marktforschungsunternehmen 2HMforum. in Zusammenarbeit mit der Universität Mainz entwickelten „Fan-Prinzip“ überträgt Erkenntnisse aus der Fan-Forschung auf die Beziehungen von Unternehmen zu ihren Kunden und richtet das Beziehungsmanagement von Unternehmen auf die Grundlage von Fan-Beziehungen aus: Identifikation und wahrgenommene Einzigartigkeit. FANOMICS ist ein ganzheitliches Management-Steuerungssystem, das Unternehmen dabei hilft, ihre internen und externen Beziehungen zu analysieren und zu optimieren und dadurch ihren wirtschaftlichen Erfolg zu steigern.

[4] Roman Becker, Gregor Daschmann: Das Fan-Prinzip: Wie Sie aus Kunden wirklich Fans machen und wie Sie davon profitieren, Springer Gabler; 3., überarb. u. erw. Aufl. 2022 Edition (2. September 2022)

Jonas Lang

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Jonas Lang

Mitglied der Geschäftsleitung, Leiter Vertrieb